Freitag, 30. Januar 2015

Schwesig: 170 Frauen fehlen in Aufsichtsräten deutscher Konzerne

(Bloomberg) -- Ulrich Lehner weiß, wie Kritik besonders vernichtend daherkommt. Als der Aufsichtsratschef von ThyssenKrupp AG und Deutsche Telekom AG in dieser Woche in Düsseldorf im Gespräch mit Journalisten auf das Thema Frauen im Aufsichtsrat zu sprechen kam, holte er weit aus und begann mit Zuspruch und Schwärmerei für die Frau an sich und endete mit der Schlussfolgerung von fachlicher Unzulänglichkeit in der Sache. Kurz vor der Lesung des Gesetzes zur Einführung einer festen Frauenquote in Aufsichtsräten provozierte der 68-Jährige damit eine Auseinandersetzung mit Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD).

Ab 2016 sollen alle Aufsichtsratsposten zu 30 Prozent mit Frauen besetzt werden.
"Ich bin Freund der Frauen. Ich liebe Frauen im Aufsichtsrat, je mehr, desto besser, je bessere, desto besser", erklärte Lehner, der neben seinen beiden Funktionen als Aufsichtsratschef bei ThyssenKrupp und Deutsche Telekom auch bei EON SE und Porsche SE im Kontrollgremium sitzt. Doch "gute Frauen sind ein knappes Gut". Deshalb sei er gegen eine feste Regelung. 

Die Familienministerin konterte: "Ich bin sicher, dass unter den über 40 Millionen deutschen Frauen 170 dabei sind, die diesen Job sehr gut machen werden", sagte sie gegenüber Bloomberg News.
An diesem Freitag berät der Bundestag in erster Lesung die Gesetzesvorlage der Bundesregierung, die deutsche Konzerne verpflichtet, Führungspositionen nach festen Quote mit Frauen zu besetzen. Voll mitbestimmungspflichtige und börsennotierte Unternehmen sollen ab 2016 freiwerdende Aufsichtsratsplätze mit Frauen besetzen, um eine Frauenquote von 30 Prozent zu erreichen. "Bei den rund 100 Top-Unternehmen fehlen insgesamt nur ca. 170 Frauen, um auf einen Anteil an 30 Prozent zu kommen", erklärte Schwesig.
Die Qualifikation von Frauen beginne in der Personalführung der Unternehmen, erklärte Anke Hassel, Professorin für Public Policy der Hertie School of Governance in Berlin. Solange diese nicht bereit seien, ihr Personal zu diversifizieren, sei es für Frauen schwierig, jene Qualifikationen zu erlangen, die einen Einstieg in den Aufsichtsrat ermöglichen. Äußerungen wie die von ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef Lehner spiegelten wider, wie gering die Bereitschaft in deutschen Unternehmen sei, Frauen den Weg in die Chefsessel zu ebenen.
Nach einem Bericht des Wirtschaftsministeriums liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten der Top-160 Unternehmen in Deutschland bei 18,9 Prozent. Fünf von 160 Aufsichtsratsvorsitzenden sind weiblich. In den Vorständen sind 5,8 Prozent der Posten mit einer Frau besetzt. Während die Deutsche Telekom die geplante Frauenquote im Aufsichtsrat bereits erfüllt, ist das Kontrollgremium von ThyssenKrupp lediglich mit drei Frauen von insgesamt 20 Sitzen besetzt.
"Ich bin Gegner der Frauenquote im Kodex", sagte Lehner. "Die Frage ist: Wo kommen Frauen her, die geeignet sind, Aufsichtsratspositionen wahrzunehmen. Und die kommen genau daher, wo geeignete Männer herkommen: aus Tätigkeiten, die einen aufsichtsratsfähig machen." Geborene Aufsichtsratsmitglieder seien ehemalige erfolgreiche Vorstandsmitglieder, am besten noch Vorstandsvorsitzende, weil deren Erfahrung am umfassendsten sei.
Um einen Aufsichtsratsposten zu besetzen, sei es nicht unbedingt notwendig, vorher Vorstandsmitglied gewesen zu sein, erklärte die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes Ramona Pisal. Es gebe viele Positionen in Aufsichtsräten, die ein besonderes Fachwissen erfordern wie etwa in der Rechnungslegung. Auch qualifizierte Wirtschaftsprüferinnen oder Unternehmensberaterinnen seien dafür geeignet. 
Auf der Hauptsversammlung von ThyssenKrupp wird heute eine vierte Frau in den Aufsichtsrat des Stahlkonzerns berufen. Sollte ihr neuer Chef Lehner ihren Einstieg mit Lob und Zuspruch kommentieren, steht die Schlussfolgerung noch aus.
Quelle: http://www.welt.de/newsticker/bloomberg

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