Dienstag, 24. März 2015

Frauen wollen Quotengegnern das Gegenteil beweisen

Zu viel Zwang, zu wenig qualifizierte Frauen, zu ungerecht für Männer: Die Gegner der Frauenquote haben viele Argumente. Deutsche Top-Managerinnen haben sich vorgenommen, diese zu widerlegen.
Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG)
Sigrid Nikutta führt 13.000 Mitarbeiter, ist Herrin über 3000 Busse und Bahnen in Deutschlands Hauptstadt Berlin und kann über so manchen Bedenkenträger gegen Frauen an der Spitze eines Unternehmens nur lächeln.
Von wegen, es gebe für viele Aufsichtsrats- und Chefposten nicht genügend qualifizierte Frauen. “Wenn man einen Diplom-Ingenieur mit 20-jähriger Berufserfahrung sucht, vielleicht”, sagte sie bei einer Anhörung im Bundestagsausschuss Ende Februar. Magentafarbendes Jackett, die blonden Haare offen, charmant und bestimmt. “Aber man muss sich doch fragen, ob das eigentlich erforderlich ist.”
Nikutta ist das beste Beispiel dafür, dass es auch anders geht. Sie hat Psychologie studiert. “Ich selbst möchte keine U-Bahn konstruieren. Das täte der U-Bahn nicht gut und dem Unternehmen nicht”, sagt sie. “Aber ich glaube, dass ich die BVG (Berliner Verkehrsbetriebe) trotzdem gut führe.”
Die Zahlen jedenfalls geben ihr Recht: Mit ihr an der Spitze schreibt der Staatsbetrieb das erste Mal seit 86 Jahren schwarze Zahlen. Anerkennendes Klopfen im Saal.
Feste Zielgrößen für Frauenanteil im Vorstand
Zu viel Zwang, zu wenig qualifizierte Frauen, zu ungerecht für Männer – für ihre Argumente bekamen die Quotengegner letztlich keine Mehrheit. Anfang März, zwei Tage vor dem Weltfrauentag, beschloss der Bundestag in voll mitbestimmungspflichtigen und zugleich börsennotierten Konzernen eine Geschlechterquote von 30 Prozent.
Sie soll für alle ab 2016 neu gewählten Aufsichtsräte von insgesamt 108 Konzerne gelten. Finden sich nicht genügend Frauen, greift die “Politik des leeren Stuhls” und der Sitz im Kontrollgremium bleibt unbesetzt.
Die Konzerne müssen dem Gesetz zufolge bis Ende September 2015 zudem feste Zielgrößen für den Frauenanteil im Vorstand und in den oberen Managementebenen festlegen. Knapp zwei Jahre später müssen sie berichten, ob die Ziele erfüllt sind. Das gilt auch für rund 3500 weitere Firmen, die entweder mitbestimmungspflichtig oder börsennotiert sind – dort auch für die Aufsichtsräte.
Ein “Meilenstein zur Normalität”
Konzerne wie der Energieriese RWE haben bereits begonnen umzusteuern. Bisher hat Chefaufseher Manfred Schneider in seinem 20-köpfigen Kontrollgremium nur drei Kolleginnen. Das aber soll sich sowohl für die Holding als auch für die Konzern-Beteiligungen, in denen insgesamt über 700 Aufsichts-Mandate zu besetzen sind, bald ändern.
Dazu hat RWE unter anderen die Vorkämpferin für Frauen in den Aufsichtsräten, Fidar-Vorsitzende Monika Schulz-Strelow, engagiert. Sie schult seit vergangenem Sommer Frauen aus dem mittleren Management für höhere Aufgaben. Wie bereite ich mich auf eine Sitzung vor? Wie durchschaue ich die politische Gemengelage? Wie knüpfe ich Netzwerke zu den Entscheidern?
In einem ersten Durchlauf trainierte Schulz-Strelow 24 RWE-Frauen. Neun von ihnen sind inzwischen Aufsichtsrätinnen in Konzern-Töchtern. “Männer in Führung müssen aufhören, immer nur ihresgleichen zu suchen”, sagt Schulz-Strelow. “Wenn sie einen anderen Blick wagen, dann finden sie Frauen, die bisher nur nicht sichtbar waren. Genügend Hochqualifizierte gibt es auf jeden Fall.” Das Quoten-Gesetz ist in den Augen der Beraterin und Lobbyistin ein “Meilenstein zur Normalität” von Frauen in Führung.
Deutsche Lufthansa als Vorreiter
Bisher sind sie dort auch nach jahrzehntelangen Diskussionen noch immer in der Minderheit. Im Herbst 2014 betrug der Frauenanteil in Aufsichtsräten der 160 in den Börsensegmenten Dax, MDax, SDax und TecDax gelisteten Unternehmen 18,9 Prozent.
Von den Vorständen waren dem “Women-On-Board-Index” zufolge nur 5,8 Prozent weiblich. Kumuliert liegt der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen bei 12,4 Prozent – das waren immerhin 5,9 Prozentpunkte mehr als knapp drei Jahre zuvor. 31 der Unternehmen allerdings haben bis dato keine einzige Frau im Vorstand oder Aufsichtsrat.
Ein Vorreiter in der Dax-Riege ist die Deutsche Lufthansa. Dort sind zwei von fünf Vorständen und sieben von 20 Aufsichtsräten weiblich. Finanzchefin Simone Menne, die Europas größte Fluggesellschaft im Mai 2012 als erste Frau in den Vorstand berief, wirbt mittlerweile öffentlich für die Quote: “Wir brauchen eine kritische Masse, damit Frauen in Führungspositionen normaler werden und damit ihr Umfeld erkennt, dass sich jede Frau anders verhält.”
Zu den schwarzen Schafen dagegen gehört Fresenius. Der Gesundheitskonzern und die eigenständige Tochtergesellschaft Fresenius Medical Care sind die beiden einzigen Dax-Unternehmen, in denen Vorstand und Aufsichtsrat noch reine Männersache sind.
Und Dieter Schenk, Verwaltungsratschef der Else-Kröner-Fresenius-Stiftung und damit der starke Mann im Hintergrund der beiden Konzerne, hatte bisher auch wenig Lust, das zu ändern. “Eine gesetzliche Frauenquote ist weder im Interesse der Unternehmen noch der zu fördernden Frauen”, sagte er noch im vergangenen Frühjahr. Erst 2016 stünde die nächste Wahl des Fresenius-Aufsichtsrate an. Bis dahin sei “genügend Zeit, die gesetzliche Regelung abzuwarten”. Mit Warten allein ist es jetzt wohl nicht mehr getan.
Telekom erlegt sich selbst Quote auf
Gegen die Quote war bis zuletzt auch Ulrich Lehner, Aufsichtsratschef bei Thyssen-Krupp und der Telekom sowie früherer Henkel-Chef. “Ich liebe Frauen im Aufsichtsrat, je mehr, desto besser. Aber im Gesetz hat das nichts zu suchen”, ließ er sich zitieren. Von den Mitgliedern eines solchen Gremiums werde immer mehr verlangt. Da mangele es schlicht an geeigneten Leuten – speziell Frauen.
“Man kann Frauen für den Aufsichtsrat nicht aus dem Hut zaubern”, so Lehner. Muss man auch gar nicht. Man muss nur früh genug mit der Förderung anfangen. Die Deutsche Telekom zum Beispiel hat sich bereits 2010 unter ihrem Personalvorstand Thomas Sattelberger eine freiwillige Frauenquote von 30 Prozent für alle neu besetzten Führungspositionen auferlegt. Damals waren 13 Prozent aller Chefs im Konzern weiblich. Heute sind es 24 Prozent.
Im Vorstand allerdings ist Claudia Nemat, verantwortlich für die Geschäftsbereiche Europa und Technik, noch allein auf weiter Flur. Sie hat sich jetzt persönlich daran gemacht, das zu ändern. 29 weibliche “High Flyer” hat die Telekom ausgewählt, aus allen Bereichen und Ländern in Europa. Sie sollen, geschult in speziellen Seminaren, einen Talentpool von potenziellen Aufsichtsrätinnen für die Konzern-Töchter bilden.
Beim ersten Treffen in Bonn schwörte Nemat den Nachwuchs darauf ein, alte Vorurteile zu widerlegen. “Wir finden einfach keine geeigneten Frauen”, heißt eines davon. “Dieses Argument wollen wir jetzt entkräften”, rief Nemat ihren Zuhörerinnen zu. Und den Herren “eine Quelle der Inspiration sein”.
Frauen sind ebenso ehrgeizig
An Ehrgeiz jedenfalls scheint es auch vielen Frauen nicht zu fehlen. Da stehen weibliche Führungskräfte den männlichen nämlich in nichts nach, wie die internationale Personalberatung Odgers Berndtson heraus fand.
In einer Befragung von mehr als 2000 Führungskräften in Deutschland, Österreich und der Schweiz nannte rund die Hälfte der Männer das Ziel, stetig weiter aufzusteigen und das Maximum in ihrer Karriere zu erreichen. Das gleiche wollten auch 51 Prozent der Frauen. Dabei strebten Frauen vor allem eine Position auf Vorstands- oder Geschäftsführungsebene in einem mittelständischen Unternehmen sowie eine hohe Vergütung an.
Die allerdings ist bei Aufsichtsratsmandaten nicht immer garantiert. Unternehmen mit weniger als 500 Millionen Euro Umsatz zahlen ihren Aufsichtsrats- und Beiratsmitgliedern Branchenkennern zufolge zwischen 5000 und 20.000 Euro Jahr. Bei Dax-Konzernen ist deutlich mehr drin.
Anforderungen steigen ständig
Wenn ein Aufsichtsratsmandat ernst genommen wird, ist es zudem auch zeitintensiv. Laut Deutschem Corporate-Governance-Kodex, dem Leitfaden für Vorstände und Aufsichtsräte, muss jeder Kontrolleur darauf achten, “dass ihm für die Wahrnehmung seiner Mandate genügend Zeit zur Verfügung steht”.
Zu seinen Aufgaben gehört neben Vorbereitung der regelmäßigen Sitzungen auch die Mitarbeit in “fachlich qualifizierten Ausschüssen”, wie etwa dem Prüfungsausschuss, der unter anderem das unternehmensinterne Risikomanagement überwacht. Die Anforderungen an die Kontrolleure sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Da tut eine Professionalisierung not.
Auch BVG-Chefin Sigrid Nikutta findet Qualität von Aufsichtsräten wichtig, keine Frage. Eines aber, berichtet sie vor dem Ausschuss im Bundestag, sei ihr doch suspekt: Komisch eigentlich, dass diese Diskussion nie geführt worden sei, als noch lauter alte Männer in den Aufsichtsräten saßen. “Sie wurde erst richtig laut, als es darum ging, Frauen auszuschließen.” Und wieder nicken viele Zuhörer im Saal.
Quelle: welt.de

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